Canyon Spectral CF 9.0 EX
Bezüglich Carbon bin ich noch jungfräulich und war dem Material gegenüber bisher vorurteilsbehaftet. Dabei passte vor allem der Charakter des Werkstoffes nicht zu meinen eigenen ingenieurmäßigen Vorstellungen von einem benutzerfreundlichen Versagensverhalten. Doch ich lies mich mit dem Canyon Spectral CF 9.0 EX 2015 nicht nur auf eine mögliche Carbon-Missionierung ein, so gleich war es auch mein erster Kontakt mit dem Zwischenmaß 27,5 Zoll. Viel Neues für einen, den man schon fast als altmodisch bezeichnen könnte.
Andererseits war ich verdammt scharf auf den Test des Spectral CF. Als Trailbike ist das Spectral zwischen dem Strive (Enduro) und dem Nerve (Tour) angesiedelt und spielt, zu mindestens laut Definition, in genau die Lücke, in der ich mich gern aufhalte. Daher war ich sehr gespannt, was das Bike auf den Trails zu bieten hat.
Die Ausstattung – Race Ready
Das Spectral CF kommt in der Ausstattungsvariante 9.0 EX zu uns. Schon beim Lesen der Partliste wird dabei schnell klar, in welche Richtung das Bike gehen soll – Race Ready! Mit komplettem SRAM X01 1×11 Antrieb, soliden Mavic Crossmax XL Laufrädern, den MAXXIS Ardent / High Roller II 3C MaxTerra Gummis sowie dem RockShox / CaneCreek Fahrwerk schreit das Spectral förmlich nach Trailgeballer. Die restliche Ausstattung stellt mit Sram Guide RS Bremsen, dem neuen Renthal Flatbar Carbon Cockpit und der RockShox Reverb Stealth eine grundsolide und durchdachte Ausstattung für einen sehr guten Preis dar. Gern hätte ich den bewährten und in der Ausstattungsvariante 9.0 verwendeten DTSwiss XM 1501 Laufradsatz an dem 9.0 EX Bike gesehen, da dieser leichter, aber vor allem klassisch eingespeicht und somit kein spezielles Systemlaufrad ist. Aufgrund der Race Ready Austattung und dem Fakt, dass auch das Factory Enduro Team von Canyon Mavic fährt, wurde hier im Produktmanagement wohl eine andere Entscheidung getroffen.
An der Front sorgt eine RockShox Pike RCT3 Solo Air mit 150 mm Federweg für satten Lauf, am Heck vertraut man auf einen CaneCreek DB Inline Dämpfer. Hier treffen zwei vollkommen unterschiedliche Philosophien aufeinander. Während die Pike die sorglos Forke schlechthin spielt und den Nutzer nicht mit einem Feintuning Marathon überfordert, ist der DB Inline Dämpfer eben jenes „Setting-Monster“. Positiv ist jedoch der Service von CaneCreek: Auf deren Website lässt sich das Standard Setup für das Spectral CF finden und man kann während der Einstellung des Dämpfers immer wieder zum Grundsetup zurückkehren.
Bleibt zum Schluss noch das Herzstück des neuen Spectral CF – der Rahmen. Dieser ist im Vergleich zum Spectral AL ca. 600 g leichter geworden und drückt das Gewicht aller Spectral CF Komplettbikes nahe an die 12 kg Grenze. Das von uns getestete Modell in der Grüße S inkl. Sickpack Skywalker II Pedalen kam auf ziemlich genau 12,48 kg. Man könnte sagen, das Spectral CF ist der kleine Bruder des Strive CF, denn viele der Erkenntnisse die dort mit der Race Geometrie gesammelt wurden, flossen nachträglich in die Entwicklung des Spectral CF ein. So wurde der Rahmen insgesamt um ganze 17 mm am Oberrohr länger, was in einer höheren Front resultiert. Auf dem Papier spricht das für viel Kontrolle und dank kurzer Kettenstrebe trotz alledem für ein verspieltes Handling.
Alles in allem eine grundsolide und durchdachte Ausstattung für einen sehr guten Preis.
Die komplette Liste aller Parts und die Geometrie der einzelnen Größen findet ihr direkt bei Canyon unter: Canyon Spectral CF Hersteller-Seite
Von der Pappe in den Dreck
Noch bevor es dazu kam, dass das Bike auf dem Weg zu mir ist, stand ich vor einem Rahmen Dilemma. Dank meiner unvorteilhaften Maße von 172 cm Größe bei einer Schrittlänge von ca. 81 cm liege ich bei den meisten Bikes fast immer zwischen zwei Größen. So stand ich auch beim Spectral CF vor der Frage: S oder M? Nach dem ausführlichen Studium der Geometrien meiner früheren Bikes und dem Spectral CF sowie einigen Diskussionen im Team, entschied ich mich für die Größe S. Genau diese Entscheidung stellte sich für meine 172 cm Körperhöhe und ca. 81 cm Schrittlänge als goldrichtig heraus. Ich sitze entspannt aufrecht auf dem Bike und fühle mich zu keiner Zeit in irgend einer Form zusammengedrückt.
Das Setup war für’s Erste auch recht problemlos. Wie schon erwähnt ist die Pike ja sehr benutzerfreundlich einzustellen. Einmal den richtigen Druck für den SAG ermittelt – bei mir ca. 25 % bei 100 psi – war auch die richtige Klickzahl für der Low Speed Druckstufe schnell gefunden, da ich hier auf meine Erfahrungen mir meiner eigenen RockShox Pike Gabel zurückgreifen konnte. Ich war mir vorher ziemlich sicher, zusätzlich ein oder gar zwei Tokkens einbauen zu müssen um ein absacken der Gabel zu verhindern, aber entgegen meiner Erwartungen hat das eine vorinstallierte Tokken sehr gut gereicht. Bis hierher war noch alles easy, dann ging es an den DB Inline. Vor dessen Einsatzvielfalt hatte ich gehörigen Respekt, aber es stellte sich heraus, dass auch das Setup des DB Inline kein Hexenwerk ist! Den SAG habe ich wie von CaneCreek für das Spectral empfohlen auf ca. 30 % bzw. 15 mm eingestellt. Daraufhin freundete ich mich auf einigen Touren erst einmal mit dem Dämpfer an. Recht schnell wusste ich, dass hier etwas mehr Low Speed Dämpfung gut wäre, da er selbst mit Climb Switch doch arg zum Wippen neigte. Nach dem Durchforsten einiger Forenbeiträge zum Spectral mit ähnlich schweren Fahrern (+ 100 kg), habe ich erst einmal mit einer Verdopplung der Klicks an Low Speed Dämpfung und Rebound angefangen und hab mich dann zum für mich perfekten Setup im Rahmen einiger Fahrten herangetastet. So fahre ich dem DB Inline bei ca. 115 kg Fahrergewicht mit ca. 275 psi, 2 Umdrehungen HSC, 2,5 Umdrehungen HSR, 11 Klicks LSC und 13 Klicks LSR. Klar, der DB Inline brauch etwas mehr Aufmerksamkeit, doch auch er ist keine „Rocket Science“ und lässt sich beherrschen.
Auf dem Trail
Die ersten Meter auf denen ich mich mal nichts ums Fahrwerk sondern dem Bike als Ganzem widmen konnte waren spannend. Die Geometrie ist wirklich sehr gelungen, man sitzt aufrecht und gut ins Bike integriert. Wenig überraschend und doch besser als gedacht machte sich die Maxxis Reifen-Kombo. Dank des Ardent am Heck rollt das Bike leicht und beschleunigt sehr gut. Der HighRoller 2 an der Front bietet eine sehr gute Führung auf den meisten Untergründen. Auf jeden Fall deutlich besser als mein privater Radon-Enduro-Panzer. Auch etwaige Nachteile durch die Trägheit der 27,5er Bereifung konnte ich nicht feststellen. Rollt das Spectral erst einmal, lässt es sich auf fast jedem Untergrund effektiv auf Tempo halten – Climb Switch am Dämpfer vorausgesetzt. Der Switch ist nicht nur an technischen Anstiegen sehr von Vorteil, wo er wirklich massig Traktion bietet und sich trotzdem effizient pedaliert, sondern auch wenn man einfach nur tourt und keine Schaukel unterm Arsch will. Das Heck bleibt so bei Schlägen aktiv und es geht deutlich weniger Energie verloren. Vollkommen wippfrei bekommt man das Heck mit dem DB Inline aber nicht. Was nicht heißt, dass man mit dem Bike nicht den Berg hoch fahren kann. Mit einem einigermaßen runden Tritt, geringer Frequenz und Climb Switch sind auch lange Anstiege zu bewältigen. Einschränkungen bezüglich des Antriebs kamen bei mir auch nicht auf. Ich würde mich nicht als Konditions-King bezeichnen, aber mit dem 34er Blatt an der Front fühlte ich mich im Leipziger Umland selten überfordert. Das 42er Ritzel hinten machts einfach möglich. Damit bin ich Anstiege hochgekommen, an denen ich mit der Übersetzung an meinen Radon mit 32er Blatt vorne und 32er Ritzel hinten sang- und klanglos gescheitert bin. Das einzige was sowohl Touren als auch Anstiege unbequem macht, ist der Sattel. SDGs Curcuit ist dafür einfach nicht gebaut oder gedacht. Jedenfalls reiben die steifen Nähte auf der Oberseite des Sattels ordentlich. Aber sind wir fair, für die Raceversion ist das zu verschmerzen.
Die kleinen Ausrutscher beim Wippen seien einmal verziehen, denn welches Feuerwerk das Spectral Bergab dann im Bunde mit der Pike und dem DB Inline abbrennt, ist einfach der Wahnsinn. Das Fahrwerk harmoniert derart gut, dass das Bike förmlichen am Boden klebt, alles glatt bügelt und sich dann an Kanten spielend abziehen lässt. Wer mich kennt weiß, dass ich eigentlich kein Freund von Air-Time bin. Mit dem Spectal CF jedoch kann ich kaum genug davon bekommen. Das Bike liegt sicher und stabil zu Land und Luft und das ohne auch auf nur ein Quäntchen Verspieltheit zu verzichten. Man könnte meinen ich zitiere hier den Marketingtext einiger Hersteller, aber bei dieser Trailwaffe würde ich es sofort unterschreiben.
Auf dem abschließenden Trip in die Bikewelt Schöneck zeigte sich aber eins sehr schnell – mit meinem heimischen Trail Setup des DB Inline waren die Strecken unfahrbar. So landete ich nach einigen Abfahrten bei dem von Canyon angegebenen Grundsetup des Dämpfers, welches auf diesen Strecken super funktionierte. Nur an schnellen Bremswellen, bzw. eher -löchern wurde das Bike etwas unruhig. Wohl ein Tribut an den Leichtbau, kombiniert damit, dass es ja doch „nur“ ein Trailbike ist. Am Ende hatte ich jedoch ein solides Trail Bike mit einem fluffigen Park Setup. Während das Spectral auf den Trails im Voigtland rannte wie Bolle, konnte eine Komponente nicht mit dem Bike mithalten. Die Sram Guide RS Bremsen fielen auf langen Abfahrten mit unangenehmen Fading auf. Es ist lange her, dass ich wegen einer Bremse Schmerzen in den Fingern hatte, aber mit der Guide hatte ich zum Ende der Trails öfter die Hoffnung, dass da noch etwas mehr kommen könnte.
Fazit
Let’s Rock’n’Roll – Canyon hat mit dem Spectral CF ein wahre Trailwaffe gebacken, bei der man sich echt fragt wozu man denn eigentlich mehr braucht. Zu keiner Zeit hatte ich das Gefühl ich bräuchte noch etwas mehr Federweg oder gar irgendwelche weiteren technischen Gimmiks. Klar, wer es im Bikepark noch mehr krachen lassen will sollte eher Richtung Enduro/Freeride schauen. Wer mehr KOM (King of Mountain) Trophäen sammelt ist mit einem CC Fully besser bedient. Doch für Tourenbiker, die ein Bike mit einer Abfahrtsperformance nah am Enduro suchen ist dieses Trailbike genau das richtige! Denn auch touren lässt es sich auf dem Spectral CF vorzüglich und auf dem Trail ins Tal kann man es dann richtig krachen lassen. Und genau dass ist das was das Spectral CF am besten kann – es knallen lassen. Auf schnellen und verwinkelten Trails fühlt sich das Bike zu Hause, immer bereit den nächsten Drop abzuziehen. Gesichtskrämpfe aufgrund des immerwährenden Grinsens gibt’s beim Canyon inklusive! Kann ich das 2015er Canyon Spectral CF 9.0 EX empfehlen? Ganz klar: ja!
Aber es gibt auch ein paar kleine Cons, denn die EX Version verzichtet in Bezug auf den ultra steifen Lenker und den Sattel an wichtigen Stellen auf Komfort. Zwei Punkte, die in Anbetracht der „Race Ready“ Variante verschmerzbar sind. Einziges wirkliches Manko stellen die Sram Guide RS Bremsen dar. Hier wäre eine passendere Alternative angebracht.
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