Canyon Strive CF 8.0
Gastautorin: M. Bogott
Originalartikel: Dirt Magazin
Anfang Herbst stand für DIRTy Martina der wahrscheinlich letzte große Biketrip in diesem Jahr auf dem Programm und sie fand, dass das die perfekte Gelegenheit war, ein Testbike mitzunehmen. Sie überlegte kurz hin und her, welches Bike denn wohl für meinen Trip „Brixen – Reschenpass – Serfaus“ am besten geeignet sein könnte und entschied sich für das neue Canyon Strive CF.
Koblenz lag eh auf meiner Reiseroute, also ab zu Canyon! Daniel Oster vom Marketing-Team und Vincenz Thoma aus der Entwicklungsabteilung begrüßten mich bei meiner Ankunft freundlich in der Werkstatt. Und da stand es auch schon: in der Mitte des Raumes, auf Hochglanz poliert! Das stahlblaue (Canyon nennt’s electric blue) Strive CF 8.0 war schon von Weitem ein absoluter Hingucker und ich deswegen leicht aus dem Häuschen.
Die Technologie
Das Prinzip des Bikes wurde ja an vielen Stellen schon vorgestellt und zeugt von viel Entwicklungsarbeit, die innerhalb von drei Jahren in das Projekt geflossen ist. Canyon hat mit dem Strive ein Bike konstruiert, das der Fahrer an seine jeweiligen Bedürfnisse anpassen kann: Man hat die Wahl zwischen einem straffem Cross-Country- und einem schluckfreudigen Downhill-Modus. Mit einem Hebel am Lenker und ein wenig Körperkraft lässt sich die Geometrie, Kennlinie und der Federweg des Bikes auf einen Schlag verstellen. Das Ganze passiert während der Fahrt, ohne Absteigen und Schrauben, mittels Fernbedienung am Cockpit.
So verfügt das Rad im XC-Modus über einen steileren Sitz- und Lenkwinkel, ein höher liegendes Tretlager sowie geringeren Federweg im Dämpfer; im DH-Modus sitzt man tiefer im Bike, der volle Federweg des Dämpfers von 160 mm kann genutzt werden und der Lenkwinkel ist flacher. Insgesamt verändert sich das Bike um 1,5° im Lenk- und Sitzwinkel, das Tretlager senkt bzw. hebt sich um 19 mm und der Federweg des Dämpfers switcht zwischen 130 und 160 mm.
Einstellung und Veränderungen
Bei einem ersten kurzen Testride vor einigen Wochen in Koblenz hatte ich zwar keine Probleme mich auf die Shapeshifter-Technologie einzustellen, allerdings war der Luftdruck im Shapeshifter etwas zu hoch für mein Körpergewicht, so dass ich relativ viel Kraft aufwenden musste, um zwischen den Modi zu wechseln. Die Jungs von Canyon hatten sich das aber gemerkt und dieses Mal den Shapeshifter mit einem niedrigeren Luftdruck befüllt. Der Lenker schien mir auf den ersten Blick zu breit, 780 mm sind für mich einfach zu viel. Also Lenker um knappe 4 cm gekürzt! Wir stellten den SAG am Dämpfer noch ein (dafür stellt man den Shapeshifter in den DH-Modus) und das war es dann auch schon! Griffe, Pedale, Vorbau und Sattel passten perfekt bzw. fahre ich selbst auch. Das Einstellen der Gabel erledigte ich später.
Komponenten
Das Strive ist in zwei unterschiedlichen Geometrie-Ausführungen erhältlich: Regular und Race. Das Testbike Strive CF 8.0 verfügt über die Regular-Geometrie und ist im Gegensatz zur Race-Geometrie in mehreren Punkten kürzer gehalten: Sitzrohr, Oberrohr, Steuerrohr, Radstand, Reach und Stack sind kleiner als beim Race-Bike, für meine Verhältnisse (1,64m große Gelegenheitsracerin) aber total ausreichend.
Gebremst und geschaltet wird mit Shimanos Deore XT Gruppe. Mit den 20 Gängen ist man bestens für jede Situation gerüstet und bei steilen Anstiegen gibt’s immer noch die wadenfreundliche Hamstergang–Option.
Am Testbike war die neue Fox 36 Float RC2 FIT Gabel und der RockShox Monarch RC3 Debon Air verbaut, das Serienbike kommt jedoch mit dem DBInline-Dämpfer von Cane Creek. Die mit Continental Trail King Reifen bestückten Laufräder stellt DT Swiss und Griffe samt Sattel stammen aus dem Hause Ergon. Serienmäßig ist natürlich auch eine Reverb Stealth Sattelstütze integriert. Neben dem Remotehebel für die Reverb findet sich außerdem der Hebel für den Shapeshifter am Cockpit. So viel zu den Komponenten!
Erster Eindruck
Das Bike wirkt durch die dicken Rohre, die breiten Reifen, die größeren Laufräder und die riesige Gabel extrem robust. Gut so – denn das Strive schreit geradezu nach schnellen Abfahrten auf rumpeligen Downhills. Ein dicker Protektor am Unterrohr schützt den Carbon-Rahmen vor Steinschlägen und anderen Beschädigungen. Und obwohl die Proportionen so üppig wirken, bringt das Bike moderate 13,5 Kilo auf die Waage. Beim ersten Aufsitzen hatte ich direkt ein gutes Gefühl, denn lieber fahre ich Monster-Truck als Klapprad! Der Lenker war nicht zu weit weg, das Oberrohr nicht zu hoch und ich schön mittig im Bike platziert. Perfekt, nichts zu beanstanden!
Mein erster Eindruck: Wow, was für eine Maschine!
Das Design des Rahmens ist geradlinig und ziemlich gelungen, wie ich finde. Die Sitzstrebe verschmilzt in einer durchgehenden Linie mit dem Oberrohr des Hauptrahmen und die herausstechende blaue Lackierung macht das Rad zu einem Eyecatcher. Aber genug der Theorie – ab auf den Trail!
Auf die Piste
Ich fuhr das Bike auf den Trails rund um Brixen, Nauders (Reschenpass), Serfaus-Fiss-Ladis sowie auf heimischen Trails im Nationalpark Eifel. Und alle Gebiete waren wie geschaffen für das Strive – oder umgekehrt? Beim MTB-Testival in Brixen war Canyon nicht mit einem eigenen Stand vor Ort, was wahrscheinlich auch der Grund dafür war, warum mich so viele Menschen auf das Testbike ansprachen. Es erzeugte nicht nur aufgrund seines knalligen Aussehens Aufsehen, sondern auch weil sich viele Biker für die Shapeshifter-Technologie interessierten. Ich ließ hier und da mal Probesitzen und gab ein paar erklärende Worte zu dem Rad.
Bei den ersten Abfahrten in Südtirol war ich noch etwas unsicher – neues Terrain, neues Bike. Also erstmal einrollen und langsam rantasten. Den Dämpfer hatten mir die Canyon-Jungs schon eingestellt, die Einstellung des SAG an der Gabel übernahm ich bzw. mein freundlicher Helfer. Zunächst hatte ich das Gefühl, dass Gabel und Dämpfer nicht ganz harmonisch zusammen arbeiten wollten. Der Untergrund der einzelnen Abfahrten war jedes Mal anders – von neu gebauter, glatter Flowline bis hin zu rumpeligen Wurzeltrails bergauf und bergab. Das machte mir das Einstellen der Gabel nicht gerade einfach. Ich stellte Highspeed und Lowspeed-Compression mittig ein und versuchte mich dann klickweise an die richtige Einstellung zu tasten. Das war ehrlich gesagt nicht ganz so einfach und ich habe immer noch das Gefühl, das ich hier und da was verändern könnte.
Nichtsdestotrotz fand ich aber einen guten Kompromiss, um auf den Trails richtig Gas zu geben. Nach zwei Tagen hatte ich mich sehr gut auf das Bike und die Trails eingeschossen und gab mehr Gas, als ich bisher von mir gewohnt war. Es machte einfach zu viel Spaß – perfektes Wetter in den Bergen, ein Wahnsinnsrad und nicht zu vergessen die Monster-Abfahrten! Steinig, staubig und wurzelig waren sie, stellten meine Fahrtechnik auf die Probe und ich überschritt auch mal die ein oder andere persönliche Grenze! Wenn man ein Bike unter sich hat, auf dem man sich sicher fühlt und auch mal laufen lassen kann, macht das Ganze gleich viel mehr Spaß.
Kleiner Wehrmutstropfen: Die Front ließ sich nicht ganz so einfach in die Luft bewegen. Ich hatte das Gefühl, dass sie recht schwer ist und sich nur mit erhöhtem Kraftaufwand hoch ziehen ließ. Auch darauf musste ich mich erstmal einstellen, blöderweise ging das aber mit Armpump einher. Meine Arme waren oft schneller müde als meine Beine, was auch kein Wunder bei den Shuttlemöglichkeiten in Brixen war.
Bei den wenigen Anstiegen switchte ich fast immer in den XC-Modus, das erfolgte irgendwann intuitiv während des Uphills. Der Hebel am Cockpit funktionierte einwandfrei und ist extrem sinnvoll platziert, da man die Hand nicht vom Lenker nehmen und den Blick nach unten zum Shapeshifter wenden muss. Wurde es mal richtig steil, lockte ich zusätzlich die Druckstufe des Dämpfers.
Die Pluspunkte
Das Bike unterscheidet sich mit der Shapeshifter-Technologie deutlich von anderen Mountainbikes. Ich war zunächst skeptisch, ob man die 1,5° Geometrie-Veränderung überhaupt spüren würde – aber in der Tat sitzt man im XC-Modus deutlich erhöhter und merkt sofort das straffere Setup. Stellt man in den DH-Modus, senkt sich der Hintern merklich ab und man sitzt tiefer im Bike, ganz davon abgesehen kann man nun den gesamten Federweg von 160 mm nutzen.
Ist der Shapeshifter auf das eigene Körpergewicht gut eingestellt (erfolgt mittels Dämpferpumpe), dann gewöhnt man sich sehr schnell an die Switchbewegung und irgendwann ist nur noch ein leichter Impuls nötig, um den Modus zu verändern. Selbst während des Uphills funktionierte das ohne Probleme. Bei längeren Bergauf-Passagen lockte ich zusätzlich den Dämpfer, so dass ich mit fast bretthartem Hinterbau die Berge ziemlich gut hoch kam!
Was mir ebenfalls sehr gut am Bike gefällt, ist die Tatsache, dass es relativ satt auf dem Boden liegt und nicht dazu neigt, nervös zu werden. Auch die Proportionen des Bikes und die Sitzposition haben mir ein gutes Sicherheitsgefühl auf dem Trail verliehen. Das Bike pflügt über den Waldboden und frisst Geröll und Wurzeln nur so in sich hinein. Die 27,5 Zoll Laufräder tun ihr Übriges!
Apropos Laufräder: Als mir Michael Kull von Schwalbe ein Paar Laufräder mit dem neuen ProCore-System einbaute, war ich ganz gespannt, wie sich das Bike nun auf den Trails verhalten würde und ich muss sagen: Es war der Hammer! Vorne fuhr ich mit 1,1 und hinten mit 1,2 bar. Der niedrige Luftdruck dämpfte noch einmal zusätzlich sämtliche Schläge und die ruppigen Wurzeltrails fuhren sich plötzlich wie Butter! Das wäre eine Upgrade-Maßnahme, die man sich als Kunde nach dem Kauf des Bikes noch gönnen könnte. Gut gefällt mir außerdem, dass man die Wahl zwischen FOX und RockShox bzw. RockShox und Cane Creek Federelementen hat und es das Strive auch als Rahmenkit zu kaufen gibt.
Die Minuspunkte
Das größte „Problem“, das sich mir stellte, war unabhängig vom Bike. Die zahlreichen Einstellmöglichkeiten der FOX 36 Gabel ließen mich anfangs etwas verzweifeln, aber mit etwas Zeit und Geduld findet man hier die richtigen Einstellmöglichkeiten. Gabelbedingt lässt sich das Vorderrad auch nicht ganz so einfach aus dem Rad nehmen – hier ist ein Inbus-Schlüssel von Nöten, um die Steckachse zu entfernen.
Sollte man mal Probleme mit dem Shapeshifter haben, ist man natürlich auf einen Service bei Canyon angewiesen. Im Falle eines Lecks in der Leitung, kann man mit einem normalen Schaltzug das Ganze selbst reparieren, laut Canyon ist das Einfädeln eines neuen Zugs relativ leicht, da die Zughülle für den Shapeshifter durchgehend verläuft. Spezielle Ersatzteile für die Gasfeder und den Remotehobel gibt es ausschließlich über den Canyon-Service. Für die Gasfeder wird es zukünftig aber einen speziellen Umtauschservice bei Canyon geben: Der Kunde bekommt dann eine neue oder generalüberholte Gasfeder, die er selbst tauschen kann. Ein How-To-Video soll ihm dabei helfen. Canyon empfiehlt ein Wartungsintervall von einem Jahr.
Weiteres kleines Manko: Die kleine Kettenführung am Testbike war für den groben Enduro-Einsatz nicht ausreichend. Zwei / dreimal rutschte die Kette vom Kettenblatt, so dass sich hier die Anschaffung einer größeren Zweifach-Kettenführung lohnen dürfte.
Fazit
Das Strive CF ist wie gemacht für geröllige und vor allem schnelle Abfahrten; es gehört in raues Gelände und ist im Herzen ein kleiner Downhiller! Und obwohl ich die Race-Geometrie gar nicht gefahren bin, glaube ich, dass auch die Regular-Version das richtige Gerät für den Renneinsatz wäre. Als „Just-for-fun“- und Gelegenheitsrennfahrerin war ich mit der Regular-Geometrie vollends zufrieden und habe mich ziemlich race-ready gefühlt. Das Strive verleitete mich jedenfalls dazu, mehr Gas auf dem Trail zu geben als sonst und auch die Uphill-Qualitäten sind ziemlich gut. Mit dem Strive ist Canyon ein Bike mit sehr guten Up- & Downhill-Qualitäten gelungen, wobei sich das Bike vor allem auf schnellen Abfahrten extrem gut bewährt hat. Eine absolute Spaßmaschine!
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